Vorwort

Zur Edition des ersten Bandes des Faust-Jahrbuchs

Schon vor meiner Wahl zum Präsidenten der Internationalen Faust-Gesellschaft
Knittlingen legte ich u. a. der Stadtverwaltung der Faust-Stadt Knittlingen Pläne
für Inhalt, Aufbau sowie Ziel und Zweck eines zu gründenden Faust-Jahrbuchs vor.
Nach meiner Wahl forcierte ich die Herausgabe eines solchen Jahrbuchs: Es sollte
zum Forum werden für die Faust-Thematik unterschiedlichster Facetten: Von der
Faust-Forschung, über die Gebiete Literaturwissenschaft, Philosophie, Theater
(Schauspiel, Oper, Musical), Rezitation, Puppenspiel, Volksbuch, Musik (vom
Lied bis zu symphonischen Großformen), Malerei, Buchillustrarion, Bildende
Kunst, Plastik bis hin zu populären Themen wie die Darbietung einer ästhetisch
gelungenen Faust-Briefmarke - das Thema Faust ist vielgestaltig und letztlich
unerschöpflich. Das Jahrbuch sollte auch zu einem Forum werden, in dem sich
bedeutende Faust-Städte begegnen und widerspiegeln: Knittlingen und Staufen,
Leipzig, Erfurt und Wittenberg, um diese als erste zu nennen.

Auf den ersten Blick könnte man natürlich fragen, inwiefern es eines Faust-
Jahrbuchs bedarf. Anders als beispielsweise das Goethe-Jahrbuch oder Thomas-
Mann-Jahrbuch, die sich ausschließlich mit einem Autor befassen, steht im Faust-
Jahrbuch ein Stoff oder ein Mythos im Mittelpunkt. In der Umbruchsituation, in
der sich die Philologien gerade auf ihrem Weg zu Kulturwissenschaften befinden,
bietet sich kein besserer Stoff, um gediegene literaturgeschichtlich-hermeneutische
Forschung mit neuartigen kulturwissenschaftlichen Konzepten zu verbinden.

Zunächst einmal ist der Faust-Mythos in seinen verschiedenen Interpretationen
ein Beispiel nicht nur für Intertextualität, sondern für Intermedialität, die gerade
eine besondere Konjunktur hat: Es sind ja nicht allein Dichtungen verschiedener
Gattungen, es sind Werke verschiedener Künste. Darum muß das Faust-Jahrbuch
früher oder später eben auch ein Forum bieten für Musikwissenschaftler oder
Kunsthistoriker usw.

Sodann ist Faust nicht auf den deutschen Sprachraum beschränkt, die interdis-
ziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Philologien liegt auf der Hand. Darüber
hinaus eröffnet der Vergleich der verschiedenen Weisen, sich Faust anzueignen,
aber auch die Möglichkeit zum Kulturvergleich: Welche kulturspeziflschen Muster
und Motive, Themen und Probleme werden mit Faust verknüpft?

Schließlich ist Faust auch Thema für Historiker, Kulturanthropologen, Polito-
logen, Philosophen etc. Die eminente Bedeutung, die Spengler einst dem Faust-
Mythos zuschrieb (und die in politisch unverdächtiger Weise etwa zur selben Zeit
von Egon Friedell bestätigt wurde), gilt es zu überprüfen. Faust als Mythos der
Moderne bedeutet: Faust ist der Mythos, der uns von uns und unserer Situation
erzählt.

Der erste Blick hat vielleicht recht: Ein Jahrbuch für Goethes Faust oder den
Doktor Faustus Thomas Manns braucht es nicht. Ein Jahrbuch für den oben
skizzierten Faust in seiner vielgestaltigen Ausprägung und seiner herausragenden
Bedeutung für die Geistesgeschichte der Moderne aber braucht es schon. Die
Internationale Faust-Gesellschaft Knittlingen muß dafür sorgen, daß das Jahrbuch
ein offenes Forum für verschiedene Disziplinen wird; ein bloßes Vereinsorgan
hieße, ein Thema verschenken, wie es die alten Faust-Blätter waren.

Das Faust-Jahrbuch soll aber auch zum Integrationspunkt und zum Identifika-
tionsorgan einer sich neu definierenden Internationalen Faust-Gesellschaft wer-
den. In diesem Zusammenhang ist geplant, daß sich die Aktivitäten der Faust-
Gesellschaft auch auf die anderen Städte verlagern: Mit wohlwollender Unter-
stützung der Faust-Stadt Staufen konnte dort bereits ein Symposium stattfinden,
dessen Beiträge - die ersten fünf des vorliegenden Jahrbuchs - in diesem Band
abgedruckt sind.

Inhaltlich wird das Faust-Jahrbuch zunächst folgende Aspekte aufweisen: Beiträ-
ge auf Symposien bzw. Tagungen, die durch die IFG in Zusammenarbeit vor allem
mit dem Faust-Museum und dem Faust-Archiv durchgeführt werden, sollten vor-
rangig abgedruckt werden, daneben ausgewählte Vorträge, die über das Jahr verteilt
in den „Jour-fixe"-Veranstaltungen im Faust-Archiv stattfinden. In einer Rubrik,
die Miszellen genannt wird, können unterschiedliche Aspekte der Faust-Thematik
referiert oder auf sie verwiesen werden: Faust-Briefmarke, Faust-Illustrationsbände,
Faust-Musical und die Uraufführung von Hanns Eislers Libretto Johann Faustus in
der Vertonung von Friedrich Schenker sind Beispiele dieses Premierenbandes.

Eine weitere Rubrik - mit Schenker bereit angedeutet - befaßt sich mit der
Rezension bzw. Kritik bedeutender Aufführungen von Faust-Werken, wie bei-
spielsweise Gösta Knothes Faust an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt, der
in diesem Band ausführlich vorgestellt wird. In diesem Zusammenhang kann auch
eine Vorausschau erfolgen, so zur Stuttgarter Premiere von Busonis Doktor Faust,
wofür der Produktionsdramaturg Dr. Sergio Morabito einen Text für das Faust-
Jahrbuch lieferte, denn die Stuttgarter Produktion zeigt die Oper erstmals so, wie
Busoni sie fragmentarisch hinterlassen hat.

Ansonsten wurde es bewußt unterlassen, auf kommende Premieren bzw. Veran-
staltungen zum Faust-Thema hinzuweisen, das wäre viel zu umfangreich und ggf.
auch zu unvollständig. Wer wissen will, was geplant ist, kann in folgenden Organen
nachschlagen: 1. Die deutsche Bühne, Heft Nr. 8 (August-Ausgabe jeden Jahres,
wo die Spielpläne fast aller Bühnen abgedruckt werden), 2. Theater heute. Jahr-
buch, wo viele Bühnen ihre Spielpläne (sowohl Sprech- als auch Musiktheater) als
Anzeige geschaltet haben; es erscheint im Frühherbst eines jeden Jahres, ebenso wie
3. Opernwelt. Jahrbuch. 4. Ganz aktuell ist die wöchentlich erscheinende Zeitschrift
Die Zeit, wo die Wochenspielpläne vieler Bühnen abgedruckt sind.

Auch erste Besprechungen von Neuerscheinungen konnten in der kurzen Zeit
vom Vertragsabschluss mit dem Francke-Verlag bis zum Redaktionsschluß für
dieses erste Jahrbuch Berücksichtigung finden. Damit ist bereits dieser erste Band
schon ein Organ, in dem sich die aktuelle Faust-Forschung widerspiegelt.

Ein solches Gesicht nun prägt den Inhalt des ersten Bandes des Faust-Jahrbuchs,
und es wird sich sicherlich verändern: Drei Herausgeber (Dr. Bernd Mahl, Tim
Lörke sowie Prof. Dr. Marco Lehmann-Waffenschmidt) stehen derzeit miteinander
in einer offenen Diskussion über Inhalt und Form der nachfolgenden Editionen. Bei
der Drucklegung zum ersten Band nutzten wir auch die Gunst der Stunde, denn es
ist uns gelungen, mit dem Tübinger Francke-Verlag bald ein hochkarätiges Haus zu
finden, das dieses Projekt realisiert, und wir hatten sehr schnell die nötigen Spenden,
um den Druck zu beschleunigen, denn für die Zukunft der Internationalen Faust-
Gesellschaft sollte dieses leuchtende Zeichen eines Jahrbuchs gesetzt werden.

In den Gesprächen mit möglichen Spendern hatte ich als Präsident der Inter-
nationalen Faust-Gesellschaft immer der Eindruck, daß man gerne ein solch po-
sitives Unternehmen fördern will - nach langen Jahren von Stillstand oder gar
Rückschritt. Diese materielle und damit auch ideelle Förderung, denn hier wird ja
in Sachen Faust investiert, gab viel positive Energie für die Weiterarbeit.

Selbstverständlich ist das Faust-Jahrbuch keine „Fortsetzung" dessen, was einst
die Faust-Blätter waren: Es ist der - sicherlich heute noch in der Zukunft liegende
- Anspruch, die Internationale Faust-Gesellschaft und das in ihrem Auftrag her-
ausgegebene Jahrbuch auch international zu etablieren.

In diesem Sinne rufen die für diesen ersten Band Verantwortlichen Editoren
dazu auf, einerseits Beiträge zur Veröffentlichung im Faust-Jahrbuch an die Inter-
nationale Faust-Gesellschaft Knittlingen - Adresse siehe Impressum - zu senden,
andererseits Publikationen zur Rezension zur Verfügung zu stellen.

Ein großer und sehr herzlicher Dank geht an die Sponsoren (siehe Impressum),
die in großzügiger Weise das Erscheinen dieses Bandes überhaupt erst ermöglicht
haben, und die wir auch in Zukunft benötigen.

Wir hoffen, einen erfolgreichen Weg zu gehen.

Dr. phil. Bernd Mahl, Präsident der Internationalen Faust-Gesellschaft
Knittlingen, Tübingen